Versinkender Würfel
„Versinkender Würfel“ nannte Günther Zins seine 1993 entstandene Skulptur im Klever Forstgarten unmittelbar vor den Toren des Museums Kurhaus Kleve. Es ist ein aus vier Stadien bestehendes Werk. Ein Würfel steht in der Bewegung eingefroren auf einer kleinen Insel inmitten des Sees auf seiner Ecke – wie jener ins Wasser gefallene wieder mit zartem Strich in die Luft gemalt: Skizzenhaft umrissener, aber genau definierter Raum.
Als habe nun jemand mit unsichtbarer Hand diesen Würfel in die Landschaft gezeichnet und angestoßen – wobei der Ausgangspunkt wie eingefroren auf der Insel stehen bleibt – purzelt er über die Uferböschung hinweg und taucht im zweiten Stadium mit einer Ecke ins Wasser. In diesem Teil öffnet sich der von der Stahllinie definierte Raum, umfängt mit der Spiegelung im Wasser weiteren Raum, löst sich als Würfel auf.
Wie in einem Vexierbild stoßen jetzt in der Spiegelung Linien aufeinander, die neue räumliche und doch räumlich nicht mögliche Figuren zeichnen: Der Kubus über dem Wasser verbindet sich mit dem Kubus der Spiegelung. Dann steht der Würfel mit allen „Vieren“ im Wasser: Spiegelung und Skulptur werden zum passenden Bild, bevor die Figur endgültig versinkt.
Zins hat alle Stadien einer Bewegung Bild für Bild eingefangen, hat die Statik der Skulptur als Ablauf von Bewegung mit der ihr eigenen Dynamik aufgehoben. Die feinen Stahlzeichnungen, die als Figur im Wasser verschwinden, heben aber auch die Materialität, die Festigkeit eines Kubus auf: Die Spiegelungen erweitern den zuvor klar definierten, mit stählernen Linien gezeichneten Raum, die vom Standort des Betrachters, von der Witterung und der damit verbundenen Spiegelung bestimmt werden.
Die Linie als Zeichen hat Zins immer wieder fasziniert. Schon bald befreite der Klever diese Linie von der zweidimensionalen Bildfläche des Malers (wie er sie 1987 noch in pastos aufgespachtelte Ölfarbe gravierte). Zunächst noch als farbige Zeichnung auf Plexiglas in den Raum gesetzt, begann er 1988 mit Stahl zu arbeiten: Es entstanden jene geometrischen, ungemein leichten und schwerelosen Kuben und Würfel, die wie Raumzeichnungen am Himmel stehen, im Wind schwingen oder aber – scheinbar jeglicher Materialität enthoben – im Boden versinken oder durch Wände fallen.
Stets gehen seine Skulpturen einen engen Dialog mit der sie umgebenden Landschaft oder Architektur ein. Dabei überwinden sie wiederum die Trennung zwischen dem steinernen Bau und der Natur, indem sie beide in ihren zart umrissenen Korpus aufnehmen.
Text: Matthias Grass, Günther Zins. Stahl ohne Schwerkraft, aus: 52 Werke aus der Sammlung des 20. Jahrhunderts. Museum Kurhaus Kleve, hrsg. vom Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e. V. anlässlich der Eröffnung des Museums Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Kleve 1997, S. 19
Günther Zins
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Kleve, Forstgarten (gegenüber dem Museum Kurhaus Kleve)